Halbierte Kartoffelernte

Auf dem Weg von der Scholle bis zum Teller geht mehr als die H?lfte der Kartoffelernte verloren. Das zeigt eine neue Studie von Forscherinnen und Forschern von Agroscope und der ETH Z¨¹rich.

Vergr?sserte Ansicht: Kartoffeln im Kompost
Privathaushalte sind f¨¹r 15 Prozent der gesamten Verluste entlang der Kartoffel-Wertsch?pfungskette verantwortlich. (Bild: Christian Willersinn / Agroscope / ETH Z¨¹rich)

Das Thema Nahrungsmittelverschwendung (neudeutsch ?Food Waste?) ist derzeit in aller Munde. So sollen gem?ss wissenschaftlichen Erhebungen in der Schweiz pro Kopf und Jahr 300 Kilogramm einwandfreie Lebensmittel im Abfall landen. Diese Zahl umfasst allerdings den gesamten Warenkorb, vom Jogurt ¨¹ber den trinkbaren Rest eines Weines bis hin zum zwei Tage alten Brot.

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Forschungsanstalt Agroscope und der ETH Z¨¹rich haben nun ein Produkt aus diesem Warenkorb herausgepickt, das ¨¹berproportional h?ufig weggeworfen wird: die Kartoffel.

Dazu hat der ETH-Doktorand Christian Willersinn aus der Gruppe von Michael Siegrist, Professor f¨¹r Konsumverhalten, und Kollegen von Agroscope soeben eine neue Studie vorgelegt, welche die Verluste bei diesem Grundnahrungsmittels detailliert aufschl¨¹sselt, und zwar entlang der gesamten Wertsch?pfungskette. ?Mit dieser Studie wollen wir die Diskussion ¨¹ber Nahrungsmittelverschwendung anhand eines einzelnen Produkts vertiefen?, sagt Erstautor Willersinn. Die Studie erschien in der Fachzeitschrift ?Waste Management?.

Bisher gab es zur Verschwendung bei Kartoffeln nur aus England genauere Zahlen. Dort enden rund zwei Drittel der Kartoffeln im Abfall. Diese Zahlen seien jedoch nicht mit Schweizer Verh?ltnissen gleichzusetzen, sagt Willersinn.

F¨¹r die Schweizer Studie untersuchten die Agroscope- und ETH-Forschenden die Verluste, die bei den Produzenten, Gross- und Detailh?ndlern, bei Verarbeitern und Konsumenten entstehen. Die Forschenden erhoben die Mengen sowohl f¨¹r Speise- als auch f¨¹r Verarbeitungskartoffeln, die zu Pommes Frites und Chips verarbeitet werden. Dazu verglichen sie die Verluste, die bei biologisch und konventionell erzeugten Kartoffeln beider Kategorien entstehen.

Um Aufschluss ¨¹ber die Verlustmengen bei Produzenten zu erhalten, verwendeten Willersinn und Kollegen Daten von ¨¹ber 220¡®000 G¨¹tebeurteilungen einzelner Knollen. Die Forscher befragten zudem Gross- und Detailh?ndler, um auch auf dieser Ebene m?glichst genaue quantitative Angaben zu erhalten. Weiter erhoben sie mittels schriftlicher Befragung bei 2000 Haushalten Daten ¨¹ber die private Kartoffelverschwendung. 87 Personen f¨¹hrten zudem 30 Tage lang ein Tagebuch, in dem sie genau festhielten, wie hoch ihr Kartoffelkonsum ist und wie viel der urspr¨¹nglich angeschafften Menge, darunter auch R¨¹stabf?lle, bei ihnen im Kehricht enden.

Jede zweite Knolle geht verloren

?Insgesamt sind die Verluste bei der Kartoffel auch in der Schweiz sehr hoch?, sagt der ETH-Doktorand mit Blick auf das Resultat seiner Analysen: Vom Feld bis zu den Haushalten gehen bei konventionell erzeugten Speisekartoffeln 53 Prozent verloren, bei biologisch produzierten gar 55 Prozent. Bei Verarbeitungskartoffeln liegen die Zahlen tiefer: 41 Prozent der Bio-Knollen sind Ausschuss, bei den konventionell produzierten sind es 46 Prozent. Der h?here Anteil bei konventionell erzeugten Verarbeitungskartoffeln h?ngt mit deren ?berproduktion zusammen, was bei Bio-Qualit?t kaum je vorkommt.

Der Ausschuss bei biologisch produzierten Speisekartoffeln ist deshalb gr?sser, weil diese den hohen Qualit?tsanspr¨¹chen weniger gut gen¨¹gen als konventionelle. ?Der Konsument hat letztendlich die gleichen Erwartungen an Qualit?t und Aussehen bei Bio wie bei konventioneller Produktion.?

Bauern entsorgen einen Viertel

Verluste entstehen auf allen Stufen der Wertsch?pfungskette: Bis zu einem Viertel der Ernte von Speisekartoffeln bleibt bereits bei Produzenten auf der Strecke. Weitere 12 bis 24 Prozent sortieren Grossh?ndler aus. Lediglich ein bis drei Prozent fallen bei Detailh?ndlern unter den Tisch und noch immer 15 Prozent in Haushalten.

Obwohl Privathaushalte vergleichsweise geringen Anteil an der Kartoffelvergeudung haben, ist ihr Beitrag laut Willersinn der schwerwiegendste: Bei Privaten landet ein Grossteil der nicht verwendeten Kartoffeln im Kehrichtsack oder im Kompost. Produzenten, H?ndler und Verarbeiter hingegen speisen den Ausschuss zu einem ¨¹berwiegenden Anteil in die Tierf¨¹tterung oder zu kleineren Teilen in Biogasanlagen ein.

Qualit?tsanspr¨¹che und -vorschriften

?Schuld? an den Verlusten sind gem?ss Willersinn in erster Linie die hohen Qualit?tsanspr¨¹che der Konsumenten, vor allem bei den Speisekartoffeln. Auf dieses Konto gehen bei Speisekartoffeln aus konventioneller Produktion zwei Drittel der Verluste. Bei biologischen sind es sogar drei Viertel.

Auch der Schutz der Verbrauchergesundheit sorgt f¨¹r Abf?lle: Produzenten sondern jede dritte Kartoffel nach der Ernte aus, weil sie faul oder gr¨¹n ist und deshalb gesundheitssch?dlich w?re. Viele Knollen sind auch von Drahtw¨¹rmern, also den Larven von Schnellk?fern, zerfressen, w?ren jedoch noch essbar. ?Ist eine Kartoffel voller Frassl?cher den Konsumenten zumutbar??, fragt deshalb Willersinn rhetorisch. Auch unf?rmige oder deformierte Erd?pfel w?ren geniessbar, werden aber aus ?sthetischen Gr¨¹nden genauso wie wurmstichige Knollen an Tiere verf¨¹ttert.

Neue Sorten, anderes Verhalten

Um den Ausschuss bei Kartoffeln zu vermindern schl?gt der Forscher deshalb vor allem Massnahmen auf Produzentenseite vor; etwa geeignete Kultivierungsmethoden wie Fruchtfolge, um Sch?dlingsbefall zu minimieren, Pflanzenschutz gegen Drahtw¨¹rmer und neue Z¨¹chtungen von robusteren Knollen. ?Diese Massnahmen k?nnen die Qualit?t verbessern, sodass weniger Ausschuss entsteht?, ist er ¨¹berzeugt.

Um den Ausschussberg zu verkleinern, m¨¹ssten auch die Qualit?tsanforderungen ¨¹berarbeitet werden, damit unf?rmige oder verschorfte Kartoffeln in die Regale gelangen k?nnten. Das k?nnte den Verlust bei konventionellen Speisekartoffeln um vier Prozent, bei Bio-Speisekartoffeln um drei Prozent verringern.

Gross- und Detailh?ndler seien allerdings gegen¨¹ber verschorften Kartoffeln kritisch eingestellt, da sich Schorf auf gesunde Knollen ¨¹bertr?gt. ?Der Ausschuss w¨¹rde dann anstatt bei Produzenten und H?ndlern einfach bei den Endverbrauchern entstehen, weil diese andere Qualit?tsvorstellungen haben?, ist Willersinn ¨¹berzeugt. Die ?kobilanz sei am schlechtesten, wenn Konsumenten Kartoffeln in den Kehricht geben. ?Die Verluste am Ende der Kette sind am schlimmsten, weil dann am meisten Energie im Produkt steckt. Deshalb macht es am meisten Sinn, die Haushaltsverluste zu minimieren?, betont Willersinn. Eine entsprechende Studie sei derzeit am Laufen.

Konsumenten in die Pflicht nehmen

Gerade die Konsumenten sieht der ETH-Doktorand und Agroscope-Mitarbeiter in der Pflicht. Sie sollten ihre Vorlieben und ihr Kauf- und Essverhalten ¨¹berdenken. ?Verhaltens?nderungen sind allerdings nur sehr schwer zu erreichen?, betont er. Die Haushaltsbefragung habe aufgezeigt, dass ?ltere Leute geringere Mengen wegwerfen als j¨¹ngere. ?ber die Gr¨¹nde daf¨¹r kann Willersinn nur spekulieren. Er kann sich vorstellen, dass ?ltere wissen, wie man Kartoffeln lagern muss, junge Leute hingegen da L¨¹cken haben.

Die vorliegende Studie wurde im Rahmen des Nationalen Forschungsschwerpunkts NFP69 ?Gesunde Ern?hrung und nachhaltige Lebensmittelproduktion? des Schweizerischen Nationalfonds (SNF) durchgef¨¹hrt. Sie ist die umfangreichste, die in der Schweiz je zum Thema Food Waste eines einzelnen Produkts erstellt wurde.

Vergr?sserte Ansicht: Ruestabfaelle Kartoffeln
In Haushalten entstehen doppelt so viele R¨¹stabf?lle wie in Verarbeitungsbetrieben. (Bild: Christian Willersinn / Agroscope / ETH Z¨¹rich)

Literaturhinweis

Willersinn C, Mack G, Mouron P, Keiser A, Siegrist M. Quantity and quality of food losses along the Swiss potato supply chain: Stepwise investigation and the influence of quality standards on losses. Waste Management. Available online 2 September 2015. DOI: externe Seite10.1016/j.wasman.2015.08.033

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